Professionelle Sexualpädagogik ist gelebter Kinderschutz
Fast jedes vierte Mädchen und fast jeder achte Bursche in Österreich unter 16 Jahren machen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. Pornografische Webseiten gelten für 50 Prozent der Burschen als Aufklärungsmedium Nummer 1. Digitale medial verbreitete Schönheitsideale üben einen massiven Einfluss und Druck auf unsere Körperwahrnehmung aus, die sich auch in Trends zur und in der plastischen Chirurgie niederschlagen. Sexting (Verschicken von pornographischen Fotos per mobile Messaging) und Cybergrooming (Erwachsene kontaktieren Kinder und Jugendliche im Internet gezielt mit sexuellen Absichten), Rache-Pornos...
Das sind nur einige der Trends, die zeigen, mit welchen Strömungen die Gesellschaft - Erwachsene, Jugendliche und sogar auch schon Kinder - konfrontiert sind und durch die sich viele Eltern, Bezugs- und Lehrpersonen unsicher und überfordert fühlen.
„Sexualpädagogik ist heute wichtiger denn je", stellt Ursula Lackner, Landesrätin für Bildung und Gesellschaft, fest. „Wir leben in einer Zeit sexueller Reizüberflutung. Noch nie war es so leicht, an pornographisches Material zu kommen, noch nie war es so einfach, solches zu verbreiten. Diese pornographischen Bilder und Videos prägen die sexuellen Vorstellungen von Jugendlichen: meist unrealistisch, oft in Verbindung mit psychischer und physischer Gewalt. Aber nur selten decken sich diese Vorstellungen mit jenem Wert, den unsere Gesellschaft dem sexuellem Miteinander gibt: etwas Schönes, Zärtliches, Liebevolles."
Das Land Steiermark unterstützt daher den Einsatz von ausgebildeten SexualpädagogInnen, deren Aufgabe es ist, sexuelle Bildung dorthin zu bringen, wo sie am nötigsten gebraucht wird. Sie stehen für eine Sexualpädagogik, die fundiert informiert und aufzeigt wie und in welchem Ausmaß Grenzen gewahrt werden. Damit Sexualität alles in allem - auch für die Jugendlichen unserer Zeit - als etwas Schönes und Positives erlebt werden kann.
Die wichtigste Rolle dabei nehmen die Eltern ein. Allerdings: „Informationen, fundiertes Wissen und ein realistisches Bild von Sexualität sind bedeutende präventive Maßnahmen, um den eingangs genannten Trends entgegenzutreten", betont Lackner. Daher braucht es zusätzliche Angebote, einerseits durch die Schule im Biologie- und Sexualkundeunterricht, andererseits durch externe BeraterInnen.
Einsatz von ExpertInnen in Schulen droht das aus
Dessen Einsatz ist auch durch den Grundsatzerlass Sexualpädagogik (2015) des Bildungsministeriums empfohlen. Nun droht ihnen jedoch das Aus. ÖVP und FPÖ wollen morgen im Nationalrat einen Entschließungsantrag einbringen, in dem das Bildungsministerium ersucht wird, die „Sexualerziehung ohne Beiziehung von schulfremden Personen oder Vereinen sondern durch an der Schule wirkenden Pädagoginnen und Pädagogen sicherzustellen" (sic!).
„Das halte ich für einen Rückschritt", kritisiert Lackner. Denn für zeitgemäße Sexualpädagogik ist mehr nötig, als den Kindern zu vermitteln, woher die Babys kommen. Man müsse Jugendlichen den vertrauenswürdigen Rahmen und AnsprechpartnerInnen für das Stellen von intimen Fragen und das Reden über ihre Probleme geben.
Insgesamt fließen jährlich rund 140.000 Euro an Förderungen aus dem Ressort Bildung und Gesellschaft an Institutionen und Vereine, die direkt mit Mädchen und Burschen arbeiten, aber auch mit Erwachsenen; die Workshops veranstalten, Fortbildungen für LehrerInnen und Fachtagungen für ExpertInnen u. v. m. „Ich unterstütze wo es geht, wodurch Vieles ermöglicht wird, wenngleich wir alleine aufgrund der enormen Nachfrage wissen, dass noch viel mehr notwendig wäre, um den geschilderten Entwicklungen und den damit verbundenen Herausforderungen gewachsen zu sein", so Lackner.
Heidi Fuchs, LIL* – Zentrum für Sexuelle Bildung
Das Team des Zentrums für Sexuelle Bildung arbeitet mit jungen Menschen in Workshop-Settings, bildet PädagogInnen aus und weiter, beschäftigt sich auf internationaler Ebene mit der Bedeutung von Informationsgestaltung zur sexuellen Aufklärung, ist beratend tätig und kooperiert im Bereich der sexualpädagogischen Konzeptentwicklung mit verschiedenen Einrichtungen.
Das multidisziplinäre ExpertInnenteam besteht aus Erziehungs- und BildungswissenschaftlerInnen mit Schwerpunkten wie Geschlechterstudien, Sexualpädagogik, Erwachsenenbildung und Sozialer Arbeit. Damit wird ein wissenschaftlich fundierter, professioneller, praxisnaher und lebensweltorientierter Zugang gewährleistet.
„Wir dürfen die Aufklärung von Jugendlichen nicht den Medien überlassen, insbesondere der Pornografie. Unsere pädagogische Intention ist es, statt Themen zu tabuisieren, offen, ehrlich, altersadäquat und unaufgeregt darüber zu reden und dabei Unsicherheiten ernst zu nehmen." betont Heidi Fuchs, Geschäftsleitung vom Zentrum für Sexuelle Bildung. „Es ist Tatsache, dass Jugendliche immer wieder mit nicht-altersadäquaten Inhalten in den Sozialen Medien konfrontiert sind, die Unbehagen und Überforderung auslösen. Oft sind diese Erfahrungen sehr unangenehm. Es ist wichtig, Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und ihnen eine vertrauensvolle Atmosphäre zu bieten, in der sie Fragen stellen können."
Seit Jahren steigt der Bedarf an externer sexualpädagogischer Unterstützung in der Jugendarbeit. Das berichten alle Organisationen aus dem Netzwerk Sexuelle Bildung Steiermark. Das Netzwerk Sexuelle Bildung Steiermark ist ein loses Netzwerk gemeinnütziger, steirischer Organisationen mit dem Anliegen durch Vernetzung, Austausch und Weiterbildung die sexuelle Bildung in der Steiermark weiterzuentwickeln und das Thema verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen. Alle Angebote im Bereich der sexuellen Bildung orientieren sich an den Standards der Sexualaufklärung der Weltgesundheitsorganisation und den Standards der Sexualaufklärung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Inhaltlich bewegen wir uns damit klar im Rahmen des Grundsatzerlasses Sexualpädagogik 2015 für die österreichischen Schulen:
Achtung der Menschenrechte und der Vielfalt Gleichstellung der Geschlechter sowie das Recht jedes Menschen ohne Zwang, Gewalt oder Diskriminierung ein befriedigendes, sicheres und lustvolles Sexualleben anzustreben.
„Wir führen bereits Wartelisten von über 60 Workshops für das nächste Schuljahr. Wir können die Nachfrage seit Jahren bei weitem nicht abdecken," so Fuchs. „Umso mehr wünschen wir uns einen regen und konstruktiven Austausch zwischen PädagogInnen, Eltern und EntscheidungsträgerInnen, der die Lebensrealität der Jugendlichen miteinbezieht, und aktuellen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen Rechnung trägt."
Die Sexuelle Bildung befasst sich mit gesunder Beziehungssgestaltung, dem Wahrnehmen von Grenzen, dem Sprechen über Gefühle, emotionaler und sozialer Kompetenz. Sie spielt allen Bereichen der Persönlichkeitsentwicklung positiv zu, wirkt gewaltpräventiv und gesundheitsfördernd. Dafür gilt es auch in Zukunft Rahmenbedingungen zu schaffen.
Hanna Rohn, Sexualpädagogin beim Frauengesundheitszentrum
Das Frauengesundheitszentrum bietet seit 2001 Workshops für Mädchen und junge Frauen in Schulen und Jugendzentren an und koordiniert seit 2009 das Netzwerks Sexuelle Bildung Steiermark.
Unsere Workshopangebote sind an Erfahrungen aus Beratungen mit Mädchen und Frauen gebunden und fördern Gesundheitskompetenz. Jugendliche werden darin unterstützt, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und zu wissen, wo sie sich qualitätsvolle Informationen sowie im Bedarfsfall Hilfe holen können. Wir bieten damit einen niederschwelligen Zugang zu Gesundheitsinformationen direkt in den Schulen. Als Gesundheitseinrichtung verfügen wir über unabhängiges, aktuelles und evidenzbasiertes ExpertInnenwissen.
Wenn wir dieses als externe AnbieterInnen in die Schulen bringen, decken wir eine Forderung des Erlasses für Sexualpädagogik: Durch unsere Spezialisierung können wir im Gegensatz zu LehrerInnen immer auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft sein. Viele Bedingungen für qualitätsvolle Sexualpädagogik sind derzeit an den Schulen nicht gegeben: Ein positives Körperselbstbild entsteht etwa durch korrektes Wissen über die eigene Anatomie. Da hinken LehrerInnenausbildung und Unterrichtsmaterialien hinterher. Nur ein Schulbuch in Österreich bildete etwa die gesamte Klitoris der Frau ab. Das Wissen über dieses Organ ist aber wichtig, um ein selbstbestimmtes Sexualleben entwickeln zu können, das sich nicht nur an Wunschvorstellungen anderer orientiert.
In dem Wissen, dass Sexualpädagogik Qualitätssicherung braucht, hat das Frauengesundheitszentrum bereits vor 10 Jahren das Netzwerk Sexuelle Bildung Steiermark einberufen und koordiniert es seither im öffentlichen Auftrag.
Das beinhaltet, die Qualität der 12 Mitgliedsorganisationen ständig weiterzuentwickeln, auf Sexuelle Bildung in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen und Weiterbildungen sowie Vernetzungstreffen zu organisieren. Die Mitgliedsorganisationen des Netzwerks verfügen über jahrelange Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den steirischen Schulen - dabei hat sich eine für Eltern, LehrerInnen und Jugendliche gut funktionierende Unterstützungsstruktur in der sexuellen Bildung herausgebildet, die viel und gerne genutzt wird. Wir haben damit in der Steiermark ein Good Practice-Modell geschaffen, auf welches wir stolz sein können und welches nicht zerstört werden sollte. Gemeinsam haben wir im Jahr 2018 16.633 Kinder und Jugendliche mit unseren Workshops erreicht. Es gibt aber nach wie vor mehr Nachfrage, als wir decken können. Ein Verbot würde insbesondere bereits benachteiligte Kinder und Jugendliche treffen.
Das Netzwerk Sexuelle Bildung Steiermark spricht sich klar für eine Qualitätssicherung der sexuellen Bildung aus. Wir haben bereits vor einiger Zeit unsere Bereitschaft kundgetan an einem Akkreditierungsverfahren für externe AnbieterInnen mitzuwirken und unsere Expertise beizusteuern. Unsere Qualitätsprinzipien orientieren sich bereits jetzt an den Standards für Sexualaufklärung der WHO, der BzGA sowie am Rahmen des österreichischen Erlasses für Sexualpädagogik.
Michael Kurzmann, Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark
Die Fachstelle für Burschenarbeit ist Teil des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark. Der gemeinnützige Verein für Männer- und Geschlechterthemen (vormals Verein Männerberatung) trägt seit 1996 zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft in Richtung Vielfalt, Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter und Gesundheit bei: Durch Beratung von Männern und männlichen Jugendlichen, Burschenarbeit, Bildung und Forschung etc.
In den Workshops der Fachstelle für Burschenarbeit werden jene Themen besprochen, die von den Jugendlichen eingebracht werden und für sie von Interesse sind: Körper und Sexualität, Mann sein, Gesundheit, Arbeit, Gewalt etc.
Wir bearbeiten diese Themen gemeinsam mit den Jugendlichen oder deren Lehrpersonen. Unsere Evaluationsergebnisse belegen Jahr für Jahr, dass es Jugendliche in hohem Maße schätzen, mit schulexternen Fachpersonen Fragen der Sexualität zu besprechen. 81,6 Prozent der teilnehmenden Burschen haben 2018 angegeben, dass ihnen der Workshop „sehr gut" gefallen hat. 70 Prozent der teilnehmenden Burschen antworteten auf die Frage, ob die Inhalte des Workshops für sie interessant waren, mit „stimmt total". Weitere 21,4 Prozent mit „stimmt eher".
Eltern/Erziehungsberechtigte sind aufgrund der zentralen Rolle im Leben der Kinder und Jugendlichen auch in der Sexuellen Bildung wichtige Ansprechpersonen. Gleichzeitig ist es für viele Eltern nicht einfach, das Thema Sexualität mit ihren eigenen Kindern zu besprechen, möglicherweise aus familiären, kulturellen oder religiösen Gründen. Dass Heranwachsende intimste Themen nicht mehr mit den Eltern bereden wollen, ist zudem Ausdruck eines altersentsprechenden Ablösungs-Prozesses. Aus Neugierde suchen die Kinder oft selbst nach Informationen im Internet, den Sozialen Medien oder im Freundeskreis, der möglicherweise selbst nicht gut informiert ist.
In den Workshops finden die Jugendlichen einen geschützten Raum, um die zahlreichen Eindrücke aus Internet, Medien und von Gleichaltrigen zu verarbeiten. Jeder Bursche soll darin gestärkt werden, sein eigenes Tempo zu finden und auf sich und andere zu achten. Gerade beim Sprechen über die eigene Körperlichkeit hat sich ein Arbeiten in geschlechtergetrennten Gruppen bewährt. Burschen können in diesem vertraulichen Rahmen den starken Coolness- und Männlichkeitsdruck, ein Imponiergehabe gegenüber Mädchen ein Stück beiseitestellen. Nicht selten zeigen sie in berührender Weise auch ihre verletzlichen Seiten, können über Unsicherheiten und Ängste sprechen. Diese geschlechtsbezogene Arbeit ist eine besondere Qualität (schul-)externer Sexualpädagogik.
Abschließend möchte ich noch eindringlich auf die soziale Dimension eines Verbots externer Sexualpädagogik hinweisen: Gerade Jugendliche aus sozial schlechter gestellten Familien haben oft weniger Möglichkeiten, in der Familie über diese Themen zu sprechen. Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA 2015) in Deutschland weisen darauf hin, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund, insbesondere Burschen, bei der Sexualaufklärung sehr viel weniger Rückhalt im Elternhaus vorfinden als Jugendliche ohne Migrationsgeschichte. Dies wird auch durch die Erfahrungen aus unserer Praxis bestätigt. Ein Verbot externer Sexualpädagogik trifft also besonders jene Jugendlichen, für die Schule der wichtigste Ort sexueller Aufklärung ist, weil in der Familie entsprechende Ressourcen fehlen.
Ingrid Lackner, Leitung von Abenteuer Liebe der Diözese Graz-Seckau
Mit dem Angebot „Abenteuer Liebe" war die „Junge Kirche" der Diözese Graz-Seckau auch 2018 in der gesamten Steiermark unterwegs. Wir arbeiten seit 18 Jahren im sexualpädagogischen Bereich und von anfänglich 20 Workshops im Jahre 2001 haben wir im vergangenen Schuljahr 533 Workshops mit annähernd 6000 Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Dies zahlen machen den großen Bedarf an externen Experten und Expertinnen deutlich sichtbar
An 54 Elternabenden, die vor allem von Volksschulen in Anspruch genommen werden, haben 870 Erziehungsberechtigte teilgenommen. Eltern sind demnach überzeugt, dass diese Workshops ihren Kindern viel bringen können.
Wir haben bemerkt, dass die Anfragen an Workshops in der Volksschule in den letzten Jahren sehr zugenommen haben. Wir haben 162 Workshops in der Volksschule und nur 132 in der 8. Schulstufe durchgeführt. Das zeigt, dass das Thema in der Volksschule durch Einflüsse der Medien, des Internets, der leicht zugänglichen Pornographie sehr präsent ist und die Kinder Unterstützung und Begleitung benötigen. Das ist sowohl den Lehrpersonen als auch den Eltern bewusst.
Weshalb braucht es in der Sexualpädagogik externe Experten und Expertinnen?
Sexualpädagogische Workshops sind ein wertvoller Mosaikstein in der sexuellen Bildung neben der schulischen Sexualerziehung und der Sexualerziehung, die durch das familiäre Umfeld der Kinder und Jugendlichen geschieht.
Gerade in der Phase der Pubertät ist vieles rund um Körperlichkeit und Sexualität sehr peinlich (das ist nach wie vor so!) Daher hat sich sehr bewährt, in geschlechtsspezifischen Gruppen zu arbeiten - das ist im Regelunterricht nicht möglich. Das Thema „Sexualität", der sich verändernde Körper, Gefühle von Verliebtsein, Fragen, Unsicherheiten können offener in einer Mädchen- bzw. Burschengruppen besprochen werden. Gerade in der Volksschule gibt es sehr wenige männliche Pädagogen und da sind unsere Workshopleiter besonders wertgeschätzt. Burschen fühlen sich mit ihren Fragen bei männlichen Sexualpädagogen gut verstanden.
Ein weiterer Vorteil ist, dass externe Sexualpädagogen und Sexualpädagoginnen nicht in die Leistungsbeurteilung einbezogen sind. Es gibt kein Abhängigkeitsverhältnis zu den Mädchen und Burschen. Im Workshop entsteht schnell ein vertrauter Rahmen, wo auch persönliche Probleme und Fragen besprochen werden können.
Präventionsarbeit braucht ebenfalls Experten und Expertinnen von außen, denen sich Kinder und Jugendliche anvertrauen können. Über Sexualität zu reden übersteigt für manche Lehrpersonen persönliche Grenzen - das ist auch verständlich, weil ihre Rolle eine andere ist.
Ein sexualpädagogischer Workshop ist eher einer Begleitung und einem Beratungssetting vergleichbar und das ist wertvoll daran.
-
Sexualerziehung gehört ins Elternhaus - das wird oft gefordert. Unsere Erfahrung dazu:
-
Eltern sind froh, wenn die Schule auch ihren Beitrag zur Sexualerziehung leistet.
-
Das Thema übersteigt die Kompetenzen mancher Eltern
-
Das Gespräch daheim ist für Jugendliche (manchmal auch für Kinder) oft sehr peinlich.
-
Jugendliche erfahren in unseren Workshops: auch mit Erwachsenen lassen sich heikle Fragen und Themen unaufgeregt besprechen.
Warum braucht es Fördergelder von öffentlicher Hand?
Sexuelle Bildung ist Kinderschutz, stärkt das Selbstwertgefühl und trägt zur Prävention von Missbrauch und Gewalt bei. Sexuelle Bildung leistet einen Beitrag zur sexuellen Gesundheit. Das ist von allgemeinem Interesse.
Eltern und Schule können Angebote zu diesem wichtigen Thema nicht alleine finanzieren.
Denise Schiffrer-Barac, Kinder- und Jugendanwältin des Landes Steiermark
Immer wieder sind die Kinder- und Jugendanwaltschaften (kijas) Österreich in ihrer täglichen Fallarbeit mit Problemen junger Menschen konfrontiert, die u.a. auf mangelnde Sexualaufklärung und in Folge mangelnde Selbstbestimmung in diesem Bereich zurückzuführen sind. Die Beispiele reichen von der ungewollten Konfrontation mit sexistischen bzw. pornografischen Inhalten über WhatsApp und andere soziale Medien bereits im Volksschulalter über sexuelle Übergriffe und Grenzüberschreitungen bis hin zu selbst durchgeführten lebensgefährlichen Abtreibungsversuchen.
Sexuelle Bildung durch professionelle, sexualpädagogisch geschulte Anbieter, die nach festgelegten Qualitätsstandards arbeiten, trägt wesentlich zur Entwicklung eines gesunden Selbstwerts von Kindern und Jugendlichen bei. Sie ist zentraler Bestandteil im Kinderschutz und dient der Prävention von ungewollten Schwangerschaften, sexuell übertragbaren Krankheiten oder Verletzungen der sexuellen Integrität.
Beratungseinrichtungen, Kinderrechtsorganisationen und Vereine zur Prävention und sexualpädagogischen Bildung haben in den letzten 25 Jahren in intensiver Überzeugungs- und Pionierarbeit das Bewusstsein für einen aufgeklärten und offenen Umgang mit Fragen zu Sexualität und Aufklärung in den Schulen geschaffen und dabei zahlreiche Widerstände überwunden. So konnte erreicht werden, dass der Prävention ein erhöhter Stellenwert zukommt.
Auch in ihrem aktuellen ergänzenden Bericht an den UN-Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen fordern die kijas daher eine altersgerechte Sexualaufklärung, Sexualpädagogik und Prävention von sexuellem Missbrauch in Kindergarten, sowie verstärkt präventive Maßnahmen durch Sexualaufklärung und Information über Empfängnisverhütung.
„Darüber reden" macht Kinder stark
Die kijas Österreich treten daher für den Fortbestand sexueller Bildung externer Fachkräfte an Österreichs Schulen nach verpflichtenden Qualitätsstandards ein, denn Kinder haben das Recht auf Schutz vor jeglicher Form von Gewalt - dies ist mittlerweile seit 30 Jahren verbrieft durch die UN-Kinderrechtskonvention. Kinder zu ermutigen, ihren Körper zu kennen, Grenzen zu artikulieren und die Grenzen anderer zu respektieren und zu wissen, wo man sich so früh wie möglich Hilfe holen kann, ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil in der Prävention von sexueller Gewalt.
Sexualpädagogische Bildung darf nicht dem Zufall überlassen werden, sondern muss ergänzend zum schulinternen Aufklärungsunterricht im Sinne von Selbstbestimmung und Vielfalt orientiert an den Kinderrechten als fixer Bestandteil erhalten bleiben. Dabei sind qualitätssichernde Maßnahmen zum Schutz vor ideologisch verzerrter Sexualpädagogik vorzusehen. Die Fachkräfte und Vereine sollen nach festgelegten Qualitätsstandards entsprechend den Grundsatzerlässen des Bildungsministeriums arbeiten und die Einhaltung dieser Qualitätskriterien muss sichergestellt werden.
Und nicht nur die Kinder- und Jugendanwaltschaften sind als gesetzliche Interessensvertretung dieser Meinung, sondern insbesonders die direkt Betroffenen, nämlich die Jugendlichen selbst, fordern sexualpädagogische Bildung durch externe ExpertInnen!
Unter anderem für die Bundesjugendvertretung sind externe Experten unentbehrlich, um in Österreich eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Sexualpädagogik für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten. „Jugendliche wollen intime Fragen zu Sexualität nicht mit der eigenen Lehrerin besprechen, die am nächsten Tag die Schularbeit kontrolliert. Es ist ein Skandal, wenn junge Menschen nun mit ihren Fragen, Ängsten und Unsicherheiten allein gelassen werden!"
Barbara Ogrisek, Leiterin der Musik-Mittelschule Ferdinandeum in Graz
Im Bildungsauftrag der Schule ist das Unterrichtsprinzip Sexualpädagogik insofern verankert, als dass Sexualität als ein positives, dem Menschen innewohnendes Potential verstanden wird. Das Vermitteln von Informationen und Kompetenzen, um verantwortungsvoll mit sich und anderen umgehen zu können, steht hierbei im Zentrum. Die Schule hat die Aufgabe, mit einer offenen, zeitgemäßen und werterfüllten Orientierung an der Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler in Fragen der Sexualität und Partnerschaft mitzuwirken. Sexualerziehung ist als Teil der Gesamterziehung anzusehen; die Zusammenarbeit mit dem Elternhaus ist daher von besonderer Bedeutung.
Ein eigenes Fach Sexualkunde gibt es in unserem Schulsystem nicht; der Unterrichtsgegenstand Biologie und Umweltkunde hat von der 1. bis zur 4. Klasse unter anderem die Beschäftigung mit dem Themenbereich Mensch und Gesundheit zum Schwerpunkt. Ich zitiere den Lehrplan:
„Unter Einbeziehung der Interessen der Schülerinnen und Schüler sind folgende Themen zu behandeln: Bau und Funktion der Geschlechtsorgane, Menstruation, Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt, körperliche, psychische Entwicklung und Befindlichkeit in der Pubertät, Aufklärung über sexuellen Missbrauch/Prophylaxe."
Wissensvermittlung allein deckt aber nur die kognitive Komponente, nicht jedoch die emotionale und soziale Ebene der Sexualpädagogik ab und kann somit den Forderungen des Erlasses des Bundesministeriums für Bildung, Wissenshaft und Forschung aus dem Jahr 2015 nicht gerecht werden. Aufgrund des individuellen Naheverhältnisses von SchülerInnen und LehrerInnen ist es für die Kinder und Jugendlichen oft schwierig, im Rahmen des Unterrichts offen über das Thema Sexualität zu sprechen. Die jungen Menschen sind durch beinahe uneingeschränkte Möglichkeiten, ungefiltert an Informationen hinsichtlich Themen die Sexualität betreffend zu kommen, überfordert. Deshalb ist es uns wichtig, dass unseren Schülerinnen und Schüler sowohl von Lehrerinnen und Lehrern, von SchulärztInnen und auch von externen ExpertInnen eine fundierte und alle Aspekte beleuchtende sexuelle Bildung erfahren.
Eine zentrale Rolle spielen die Informationen, die die SchülerInnen über das Internet beziehen. Deshalb haben wir an unserer Schule vor einigen Jahren gemeinsam mit dem Elternverein unserer Schule mit Schulforumsbeschluss das Projekt „Internet, das Tor zur Welt für unsere Kinder" organisiert, bei dem auch Sexualität (nicht nur im Internet) einen Schwerpunkt bildete. Beinahe jedes Kind hat heute die Möglichkeit, mittels Smartphones in eine virtuelle Welt vorzudringen, die oft nicht der realen Welt entspricht und Sexualität in einem pornografischen Kontext darstellt, der weder für Kinder geeignet, noch einer gesunden sexuellen Entwicklung der jungen Menschen zuträglich ist. Pornografie klammert psychische und partnerschaftliche Aspekte des Sexuallebens aus. Deshalb ist es essentiell, den Kindern und Jugendlichen Kompetenzen, Strategien und das nötige Wissen zu vermitteln mit der Flut an Information richtig umzugehen und diese kritisch zu hinterfragen. Gerade im Bereich der Sexualität geht es um eigenes Körperbewusstsein, um Verschiedenartigkeit, um Akzeptanz.
Dieses Bildungsangebot hat in den letzten Jahren erfolgreiche Wirkung erzeugt. Vielmehr noch: Bei den Workshops mit den externen ExpertInnen (zu denen niemand verpflichtet wird!) können die jungen Menschen Fragen stellen, die sie weder mit den Eltern noch den LehrerInnen besprechen wollen. Gerade weil kein Naheverhältnis besteht, öffnet sich da ein Raum für Fragen, die sonst leicht im Tabu untergehen.
Die Arbeit mit externen ExpertInnen wird von den SchülerInnen sehr positiv aufgenommen, Eltern sind dankbar, dass es dieses Angebot für ihre Kinder gibt.