Dialogreihe Geist & Gegenwart: "Zu welchem Zweck und Ende studieren wir österreichische Literatur?"
Interview mit Univ.-Prof.Mag.Dr. Schmidt-Dengler in der Kleinen Zeitung vom 15.06.2008
Über Poesie und "Wödkicks"
![Frido Hütter (Kleine Zeitung), Wendelin Schmidt-Dengler, Landesrätin Kristina Edlinger-Ploder bei der Geist & Gegenwart-Diskussionsveranstaltung am 18.06.2008 Frido Hütter (Kleine Zeitung), Wendelin Schmidt-Dengler, Landesrätin Kristina Edlinger-Ploder bei der Geist & Gegenwart-Diskussionsveranstaltung am 18.06.2008](/cms/bilder/209533/80/400/267/16b8f63d/Geist%20und%20Gegenwart25Wiesner%20.jpg)
Herr Professor, am Montag stellen Sie in Graz die Frage "Zu welchem Zweck und Ende studieren wir österreichische Literatur?". Bitte vorab um ein paar zweckdienliche Hinweise.
WENDELIN SCHMIDT-DENGLER: Hintergrund sind die Diskussionen um die kommenden Studienpläne und Studienordnungen. Derzeit behandelt praktisch jede Dissertation und Habilitation Aspekte österreichischer Literatur. Es tauchte die Frage auf, ob das Betonen des eigenständig Österreichischen nicht etwas Provinzielles sei, wo doch Globalisierung angesagt ist. Dies hätte Relevanz, wenn es in der Literatur nur noch um die Probleme des Kleinstaates losgelöst vom Kontext des gesamten Sprachraums ginge. Die österreichische Literatur ist keine provinzielle.
Täuscht der Eindruck, dass es ein prekäres Verhältnis der österreichischen Gesellschaft und ihrer Repräsentanten zur heimischen Literatur gibt?
SCHMIDT-DENGLER: Nein, der Eindruck täuscht nicht, wobei sich in den letzten Jahren einiges zum Besseren gewendet hat. Nach 1945 hat vielleicht gerade einmal Hugo von Hofmannsthal gegolten, bis Robert Musil anerkannt war, dauerte es bis weit in die 70er-Jahre hinein. Mittlerweile schmücken sich einige Politiker schon mit Literatur.
Bei unserem letzten Interview, nachdem Sie zum "Wissenschafter des Jahres" ausgerufen wurden, äußerten Sie ein gewisse Euro-08-Skepsis. Wie schaut Ihr aktueller Befund aus?
SCHMIDT-DENGLER: Am Freitag war ich in München und da sprang mir in einer Tageszeitung die Schlagzeile "Kroatastrophe" zur 1 : 2-Niederlage Deutschlands gegen Kroatien ins Auge. Diese Hysterisierung, dieser mediale Massenwahn, das ist schon unerträglich. Wenn sich die Menschen ihre Gesichter bemalen und mit den Fahnen unterwegs sind, dann soll das von mir aus sein, aber ich kann nur sagen: Das ist nicht Meines.
Was erwarten Sie sich eigentlich vom morgigen Spiel Österreich gegen Deutschland?
SCHMIDT-DENGLER: Nach den bisherigen Vorrundenspielen der Deutschen würde ich einmal sagen, dass diese Mannschaft schwächer ist als jene vor zwei Jahren bei der Heim-Weltmeisterschaft. Darin liegt die Chance der österreichischen Nationalmannschaft. Wenn ich von den ersten 30 Minuten des Polen-Spiels ausgehe, dann kann ich nur sagen: Die Chance lebt.
Peter Handke hat 1967 die Mannschaftsaufstellung des FC Nürnberg zur Literatur erhoben. Wie soll die österreichische Mannschaft morgen aufs Feld laufen?
SCHMIDT-DENGLER: Ich werde mich hüten, mich in die Reihe der mehr als drei Millionen Teamchefs einzugliedern. Im Sturm wünsche ich mir als Rapid-Fan natürlich Erwin Hoffer und Ümit Korkmaz. Ivica Vastic kann schon vor der 65. Minute kommen.
Haben Sie in den bisherigen Vorrunden-Begegnungen schon einen richtigen "Wödkick" erlebt?
SCHMIDT-DENGLER: Das 3:0 Hollands gegen Italien war absolute Weltklasse, wie überhaupt die Holländer für mich zu den Favoriten avancierten. Stellenweise spielen auch die Portugiesen exzellenten Fußball.
INTERVIEW: REINHOLD REITERER
Wendelin Schmidt-Dengler spricht morgen auf Einladung von LR Kristina Edlinger-Ploder über österreichische Literatur. Moderation: Frido Hütter.
Alte Universität, Hofgasse 14, 18 Uhr.
Quelle: Kleine Zeitung